Seit Wochen warte ich auf eine einfache Steuerbescheinigung.
Der zuständige Makler sagt, er habe alles angestoßen, mehrfach nachgehakt – und doch bleibt der Brief aus. Er scheint sich irgendwo in den Irrwegen der Deutschen Post verloren zu haben.

Was mich daran beschäftigt, ist weniger der Einzelfall, sondern das Grundgefühl, das damit verbunden ist: Früher war Verlässlichkeit selbstverständlich.
Wenn ein Brief abgeschickt wurde, kam er am nächsten Tag an.
Wenn man telefonierte, funktionierte das Telefon – ohne Rauschen, ohne Ausfälle, ohne Diskussion.

Heute ist vieles ein Lotteriespiel. Kommt der Brief an? Wann? Funktioniert die Leitung? Bleibt das Internet stabil? Diese Unsicherheit steht sinnbildlich für etwas Größeres: für den schleichenden Verlust jener Zuverlässigkeit, die einst zum Markenkern unserer Gesellschaft gehörte.

Ich empfinde diesen Wandel als schmerzhaft – nicht aus Nostalgie, sondern weil er eine tiefere Bewegung sichtbar macht. Systeme, die über Jahrzehnte stabil waren, geraten ins Wanken. Institutionen, die uns getragen haben, verlieren an Halt.

Und doch, bei aller Bitterkeit, steckt in diesem Zerfall auch ein Versprechen:
Wie Hermann Hesse 1919 in Demian schrieb:

„Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt.
Wer geboren werden will, muss eine Welt zerstören.“

Vielleicht erleben wir genau das – eine Phase des Übergangs, in der das Alte zerbricht, damit Neues entstehen kann.
Das tut weh, ja. Aber es ist auch eine Einladung, bewusster hinzusehen und mitzuwirken, welche Werte und Formen dieses Neue annehmen soll.

Ich bleibe in dieser Hoffnung:
Dass aus dem Verlust der alten Verlässlichkeit eine neue, tiefere Form von Verantwortung, Miteinander und Qualität erwächst.

Wie erleben Sie diese Zeit?
Ich freue mich über Ihre Gedanken und Erfahrungen dazu.