Ein persönlicher Beitrag von Gerd Xeller
Es war ein unscheinbarer Vormittag, der sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Ich stand in einem fast leeren Haus – dem Haus meiner Großmutter. Seit ihrem Tod im März haben wir es ausgeräumt. Raum für Raum, Schublade für Schublade. Eine scheinbar praktische Aufgabe – und doch war sie alles andere als mechanisch.
Denn auch wenn heute kaum noch etwas darin steht, ist doch alles noch da:
Ein leerer Stuhl. Ein abgenutzter Türgriff. Ein vergessener Kerzenständer.
Kleine Dinge, die plötzlich große Gefühle auslösen.
Sie sind Tore zu anderen Zeiten – zu Momenten, die einmal lebendig waren.
Wenn Räume sprechen könnten
Ich stellte mir vor, wie es wäre, in eine dieser Szenen zurückzukehren:
Ein Nachmittag mit Kaffee und Kuchen. Kinderlachen aus dem Flur. Das leise Scheppern von Porzellan. Gespräche am Küchentisch.
Was wäre, wenn wir nicht nur in Gedanken, sondern wirklich zurückreisen könnten – in eine bestimmte Stunde, an einen Sommertag im Garten, an einen dieser ganz gewöhnlichen, aber für uns kostbaren Momente?
Aber: Diese Zeit ist vorbei.
Nicht veränderbar.
Nicht löschbar.
Festgeschrieben.
Die Gegenwart ist ein Abdruck
Inmitten von Stille und Staub wurde mir etwas bewusst:
So wie die Vergangenheit nicht mehr veränderbar ist, ist auch unsere Gegenwart auf dem Weg, festgeschrieben zu werden.
Jeder Moment zählt.
Jeder Satz, den wir sprechen.
Jede Entscheidung, die wir treffen.
Jeder Blick, jede Berührung.
Wir glauben oft, dass das Jetzt flüchtig sei. Aber vielleicht ist es das nicht. Vielleicht bleibt alles – in einer Art größerem Gedächtnis. In der Geschichte, im Zwischenmenschlichen, vielleicht sogar in etwas, das man eine Art „Weltgedächtnis“ nennen könnte.
Das soll uns keine Angst machen. Im Gegenteil:
Es ist ein Weckruf.
Ein Aufruf zur bewussten Gestaltung.
Zwischen Trauerarbeit und Gestaltungskraft
Dieses Erlebnis war nicht nur eine Erinnerung – es war auch ein Akt der Trauerarbeit. Wer ein Haus ausräumt, räumt auch in sich selbst.
Und dennoch war es auch ein Moment der Dankbarkeit.
Weil ich erleben durfte, wie aus Schmerz Würde wurde.
Wie aus einem vollen Haus ein leerer Raum wurde – und aus der Leere neue Klarheit.
Es war wie eine Erinnerung daran, dass wir alle Gestalter sind.
Dass wir nicht nur erleben, sondern prägen.
Dass unsere Begegnungen und Beziehungen Spuren hinterlassen.
Und dass wir die Wahl haben: wie diese Spuren aussehen.
Vergangenheit. Gegenwart. Zukunft. Alles verbunden.
Vielleicht ist Zeit gar keine Linie, wie wir es in der Schule gelernt haben.
Vielleicht ist sie ein Kreis. Oder besser gesagt: ein sich drehendes, lebendiges Gewebe.
Dann wären wir jetzt – mit jeder Geste – Teil der Vergangenheit.
Dann würden unsere Handlungen auch rückwirkend wirken – auf Erinnerungen, auf Geschichten, auf das, was über uns erzählt wird.
Und auf das, was wir selbst einmal erzählen werden.
Was bleibt, ist nicht das Perfekte – sondern das Gelebte
Am Ende geht es nicht darum, alles richtig zu machen.
Es geht darum, bewusst zu leben.
Die Schönheit eines Lebens liegt nicht in seiner Fehlerfreiheit, sondern in seiner Tiefe.
In einem Moment der Nähe. In einer echten Entscheidung.
In einem Satz, der ausgesprochen wurde – oder eben nicht.
Was bleibt, ist nicht das große Ziel.
Was bleibt, ist das, was wir waren, als wir da waren.
Mit unserer Aufmerksamkeit. Mit unserer Liebe. Mit unserem Mut.
Ein persönlicher Aufruf
Ich teile diese Gedanken, weil sie mir wichtig sind.
Und weil ich weiß, dass viele von uns ähnliche Erfahrungen machen:
Mit dem Abschied. Mit Erinnerungen. Mit dem Versuch, das Leben zu sortieren – im Innen wie im Außen.
Vielleicht hilft dieser Text dir, innezuhalten.
Vielleicht inspiriert er dich, ein Gespräch zu führen, das du aufschiebst.
Oder etwas zu bewahren, was droht verloren zu gehen.
Und wenn du selbst in einem Prozess bist – des Abschiednehmens, des Ordnens oder des Neuanfangs – dann möchte ich dir sagen:
Du bist nicht allein.
Und:
Was du jetzt tust, bleibt.
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Gerd Xeller
Trainer. Berater. Mensch mit Erinnerung.